„Möge ihre Seele Frieden finden!“ beendet der Priester seine Grabesrede. Der Sarg von Larissa wird langsam heruntergelassen, die versammelten Trauergäste gedenken Larissas mit einer letzten Schweigeminute. Nachdem der Sarg in das Grab gesunken ist, werfen die Gäste noch eine Hand voll Erde in die offene Grube. Anschließend wird das Grab zugeschüttet.
Seit 2043 gibt es ein Gesetz, wonach auch Larissa das Recht auf ein Grab hat. Larissa war eine Pute und wurde vergangene Woche geschlachtet. Ihre Knochen wurden jetzt beigesetzt. 1,5 m² je Grab schreibt der Gesetzgeber neuerdings vor. Außerdem müssen die Gräber für zehn Jahre erhalten bleiben, bevor sie aufgelöst werden dürfen. Entsprechend kann Larissa jetzt auch Frieden in ihrer letzten Ruhestätte finden.
Was allerdings niemand bedacht hatte, war das enorme Ausmaß an Tieren, welche Jahr für Jahr in Deutschland geschlachtet werden. Bei 9.000 Pferden hielt sich der Aufwand wahrlich noch in Grenzen, nur 25 von ihnen mussten in Deutschland pro Tag beigesetzt werden. 2.740 Gänse und 2.740 Schafe pro Tag waren auch noch im Bereich des Machbaren. 10.411 Rinder sowie 68.493 Enten am Tag sorgten allerdings schon für einige Bedenken bei den Bestattungsunternehmen. Bei 120.548 Truthühnern je Tag wurde das Vorhaben schon schwieriger, und zusätzliche 153.425 Schweine, Tag für Tag, brachten die Bestatter im wahrsten Sinne des Wortes tierisch ins Schwitzen. 1,6 Millionen Hühnern, ebenfalls jeden Tag fällig, brachten das Fass jedoch zum Überlaufen. Staatliche Unterstützung wurde erforderlich.
Bei 1,5 m² je Tier und zusätzlichen 20% für Gehwege machte das 3,5 Millionen Quadratmeter Friedhofsfläche, die jeden Tag geschaffen werden mussten – das entspricht in etwa 490 Fußballfeldern je Tag. Doch Gesetz ist Gesetz, und die Umsetzung begann. Das Friedhofsareal wurde von Tag zu Tag größer, immer mehr Menschen wurden umgesiedelt, um Platz für die Mega-Begräbnisstätten zu schaffen.
Bei 20 Beerdigungen je Tag und Priester waren ganze 100.000 Priester erforderlich, die sich mit nichts anderem als der Beisetzung unserer Nutztiere beschäftigen mussten. Millionen von Menschen sind mit der Grabpflege, dem Ausheben der Gräber und der allgemeinen Logistik beschäftigt.
Je Jahr 715 Millionen Lebewesen machen innerhalb der zehn Jahre, in denen ein Grab unangetastet bleiben muss, 7,15 Milliarden Gräber, oder 12.900 Quadratkilometer. Zusätzliche 25% der Fläche wurden für Straßen und Unterkünfte von Friedhofspflegern benötigt, sodass der Friedhof mittlerweile eine Gesamtfläche von 16.100 Quadratkilometern umfasst – das entspricht der Fläche von Thüringen. Geschaffen zum friedlichen Gedenken an die Tiere, die in den letzten zehn Jahren für unser Mittagessen in Deutschland ihr Leben lassen mussten. Fische nicht eingerechnet.
"Wollte man die Gesellschaft schildern, wie sie ist, man würde sich dem Tadel der Übertreibung aussetzen."
Emanuel Wertheimer - (1846 - 1926) - Deutsch-Österreichischer Philosoph